Im Rahmen des Schreib- und Lesezentrums der KME Zürich präsentierte Julian Führer, Französisch- und Geschichtslehrer, «Zürich in den wilden Siebzigern». Dabei sprach er über gescheiterte U-Bahnpläne, Nacktbaden und die «Sendung mit der Maus».

Anlässe – Vortrag von Julian Führer

Zürichs wilde Siebzigerjahre

Die Bevölkerung Zürichs erreichte Mitte der Sechzigerjahre einen erst 2022 wieder erreichten Spitzenwert. Um 1970 sank die Einwohnerzahl deutlich, da viele, die es sich leisten konnten, ihren Traum eines Eigenheims in der Agglomeration verwirklichten. Aber auch innerhalb der Stadt wurde viel umgezogen: Die Kreise 1 und 4 verloren fast einen Drittel der Bevölkerung, wohingegen Schwamendingen und andere Neubauquartiere starken Zuwachs hatten. Die Wohnungen im Zentrum waren unkomfortabel, hatten weder Zentralheizung noch ausreichend Licht.

Infolge der immer stärkeren Trennung von Wohn- und Arbeitsort und der Massenmotorisierung nahm die Zahl der Autofahrten stark zu. Zürich reagierte darauf – wie damals international üblich – mit Plänen, eine Autobahn mit einem Autobahnkreuz am Letten quer durch die Stadt zu führen. Teile dieser Planung wie der Milchbucktunnel und die Sihlhochstrasse wurden realisiert, andere wie die Untertunnelung des Hauptbahnhofs wurden nie dem Verkehr zugänglich gemacht.

Bis Anfang der 1970er-Jahre gab es innerorts kein Tempolimit; um den (Auto-)Verkehr störungsfrei zu gestalten und die hohen Unfallzahlen zu senken, wurde der Verkehr durch Fussgängerunterführungen «entflochten». Das Shopville am Hauptbahnhof ist eine solche Anlage, man sieht sie auch an der Rosengartenstrasse und am Zehntenhausplatz. Das Projekt einer U-Bahn, die das als Verkehrshindernis geltende Tram ersetzen sollte, wurde hingegen an der Urne versenkt.

Illegales Nacktbaden

Gesellschaftlich änderte sich in den 1970er-Jahren vieles, auch in Zürich. Die «Bildungsexpansion» brachte in der westlichen Welt mehr Menschen eine höhere Bildung, ab 1976 wurden in Zürich Mädchen und Knaben gemeinsam unterrichtet. Viele neue Schulbauten (Kantonsschule Zürich Nord, Rämibühl u. a.) sind damals entstanden, auch die KME ist ein Kind dieser Zeit.

Der Kanton Zürich hob 1972 das Konkubinatsverbot auf, sodass unverheiratete Paare neu gemeinsam in einer Wohnung leben durften. Diese neue Bevölkerungsschicht liess sich in den frei gewordenen Altbauten der Innenstadt nieder. Aus den USA kamen neue Musikstile, aber auch neue Rauschmittel als Mode nach Europa.

Gegen die USA gab es aber wegen des Vietnamkriegs Proteste, und 1980 wurde in den Opernhauskrawallen gegen die teure Kultur «von oben» demonstriert. Man sah neben brennenden Barrikaden am Limmatquai eine grosse Zahl Demonstrant:innen, die nach Ende der Veranstaltung illegalerweise erst über die Rasenanlagen hinter dem Utoquai liefen und dann dort kollektiv im Zürichsee nackt badeten.

Eine Zeit zwischen grauer Betonarchitektur und grellbuntem Farbfernsehen mit viel Orange, das sich in der Populärkultur der Gegenwart erhalten hat – die «Sendung mit der Maus» etwa ist immer noch orange.

Text: Miguel Garcia
Bilder: Roberto Huber